Umgang mit Unsicherheit: Was mir ein Erdbeben in Japan beigebracht hat

 

In meiner Zeit hier in Japan begegnet mir täglich etwas, das mich im Umgang mit Unsicherheit weiterbringt – und mir zeigt, wie tief Resilienz in dieser Kultur verankert ist.

Vielleicht hast du schon mal was von VUCA, oder eine Redewendung “die Welt ist VUCA” gehört? Hier in Tokyo begegne ich täglich neuen Erfahrungen, die mein Verständnis für das Zusammenspiel von VUCA (Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität) und japanischer Weisheit vertiefen.

Vor Kurzem hatte ich ein Erlebnis, das meine Perspektive auf den Umgang mit Unsicherheit in dieser faszinierenden Kultur erweiterte.

Vor ein paar Tagen, kurz nach dem Aufwachen, geriet meine Welt in Bewegung.

Der Raum, in dem ich schlafe, schien sich plötzlich zu bewegen - ein Erdbeben. In Deutschland schlafe ich in Ruhe, aber hier sind die Nächte lebhafter. Der Kühlschrank steht in meinem Schlafzimmer, und die U-Bahn ist nicht weit entfernt. Diese Geräuschkulisse hat auch meine Schlafgewohnheiten verändert.

Das Beben, das mich am Morgen überraschte, war jedoch eine andere Erfahrung. Für die Japaner*innen ist dies ein bekanntes Ereignis, und sie sind darauf vorbereitet. Für mich war es eine Gelegenheit, die Gelassenheit und den praktischen Umgang mit Unsicherheit zu erleben.

"Drop, Cover, and Hold On" - Die Verhaltensregeln bei Erdbeben

Die Japaner*innen üben regelmäßig klare Verhaltensregeln im Falle eines Erdbebens. Diese Maßnahmen sind essenziell, um sich vor Verletzungen zu schützen.

„Drop, Cover, Hold On“ – so heißt es hier in Japan. Nicht nur in Schulen, sondern überall. Diese drei Worte höre ich jetzt mit anderen Ohren. Sie sind nicht nur eine Anweisung für den Körper, sondern auch ein Kompass für den Geist: Runterkommen. Schützen. Festhalten.

Während draußen die Welt wackelt, bleibt etwas in mir ruhig – oder will es zumindest werden. Diese Routine, diese Haltung im Angesicht der Unsicherheit, beeindruckt mich zutiefst.

Diese Verhaltensregeln sind Teil der japanischen Weisheit im Umgang mit VUCA-Situationen. Die Menschen in Japan üben sie regelmäßig, um sicherzustellen, dass sie im Ernstfall schnell und instinktiv handeln können. In Tokyo gibt es einige große Grünflächen und Parks zwischen den Wolkenkratzern, die die Massen an Menschen bei Notfällen hoffentlich aufnehmen können.

Es waren nur ein paar Sekunden. Klar war da ein Schreck, aber: kein Geschirr ging zu Bruch, und mir selbst ging es gut.

Ich habe mich gefragt: Was macht das mit meinem Vertrauen, wenn die Erde unter mir bebt – buchstäblich und im übertragenen Sinn? Und was kann ich daraus für meinen Alltag lernen?

In solchen Momenten wird mir bewusst, wie wichtig es ist, ruhig zu bleiben und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Warum sich dann also im Nachhinein von der Angst überwältigen lassen?

Ich versuchte mich auf etwas zu fokussieren, um mich vom Schrecken abzulenken: Japanischvokabeln.

Inzwischen frage ich mich, ob die Erde wirklich gebebt hat. Allzu viel Kontakt zu Mitstudierenden habe ich wegen der Sprachenvielfalt nicht. Von einigen habe ich allerdings schon ähnliche Berichte gehört. Kleinere Erdbewegungen gehören in Tokyo inzwischen zur Normalität, so ist mein ganz persönlicher Eindruck.

Was sind eure Erfahrungen mit solchen Herausforderungen? Wie geht ihr mit Unsicherheit um?

Update am Freitag, 10.11.2023:

Im heutigen Japanisch-Unterricht an der Uni haben wir Antworten auf die Frage: じしんの時は、何でいましたか。Jishin no toki ha, nan de imashitaka. Was hast du zur Zeit des Erdbebens gemacht? - besprochen.

Richtig, die Erde hat mal wieder gebebt. Und wisst ihr was? Diesmal habe ich selbst nix gemerkt.

Was ich gemacht habe?

Ich war mit zwei neuen Freundinnen im WhatsApp-Call. Planung, Hoffnung, Vorfreude. Vielleicht ist das der wahre Alltag im VUCA-Modus: nicht alles kontrollieren zu wollen, sondern mittendrin trotzdem zu leben.

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Meditationscoach & Transformationsbegleiterin

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